Das Zehnte Gebot

DU SOLLST NICHT BEGEHREN DEINES NÄCHSTEN WEIB, KNECHT, MAGD, VIEH NOCH ALLES, WAS SEIN IST.

Das Zehnte Gebot scheint die Abgrenzung besonders leicht zu machen. Es bekräftigt patriarchalische Besitzansprüche gegenüber Frauen und Untergebenen, spricht sich für das Privateigentum aus und läuft in der kategorischen Wendung gegen das Begehren, die es mit dem Neunten Gebot teilt, dem großen Lustgebot deutlich zuwider. Aber bietet es nicht doch Ansatzpunkte, die sich freundlicher bewerten lassen? Wäre der Schutz der persönlichen Sphäre, zumal des geistigen Urheberrechts, nicht gerade in Zeiten digitaler Übergriffigkeit ein hohes Gut? Eine Dichterin und ein Dichter haben mit literarischen Texten auf dieses Gebot reagiert.


18. Oktober 2017 um 19 Uhr
 

»Giebt es auf Erden ein Maaß?

Ee giebt keines.« (Hölderlin)

Es lasen: Kerstin Hensel | Ulf Stolterfoht

Moderation: Dr. Norbert Hummelt


Auszug aus Ein Ausflug von Kerstin Hensel:

                      Du sollst / nicht! – # Zehnwort. Zählwort. Zähwort. Zementwort.

Was soll mir das? Was? soll? mir? das? Es ist doch nicht vom Himmel gefallen, dieses Wort? Einstürzende Fragen am Tag, an dem ich HIER stehe: an Sachsens tiefstem Punkt. Erdgeschichtlich. Stückel weiter: Das Sooster Hochmoor: Schwefelgelb, Rostrot, Umbra, Ocker, Anthrazit: Höllenfarben für große Bilder. Tödliches Gebiet betörender Einbruchstrukturen, Verschneidungen von Störungen, Kieselalgen, Salze, Mofetten. Toxische Vitriole, die eine feuchte Wüste geschaffen haben

       Wer? hat? WAS? geschaffen?


Auszug aus zuckerschoten sin vorboten von Ulf Stolterfoht:

(3)

ein paar bemerkungen zum thema mißgunst und neid.

nehmen wir einfach mal an, einer ist angefressen, weil

sich der nachbar die neue sleaford mods-platte oder den

letzten papenfuß-band leisten kann. ein anderer wird

buchstäblich gelb, weil er an der wand seines orthopäden

 

eine elegante broodthaers-reproduktion bemerkt. die sek-

retärin gönnt ihrer chefin die schicke levi's-jacke nicht.

oder: eine hockeyspielerin neidet ihrer kameradin das

dribbling. einen schalterbeamten wurmt es gewaltig, daß

sein kollege wesentlich schneller rechnet und jedes porto

 

auswendig weiß, sogar büchersendung international. der wird

dann auch entsprechend früher befördert. und um einmal hier

von mir zu sprechen: für mich ist es unerträglich, wenn jemand

hübscher ist als ich - und alle blicke auf sich zieht. oft stehen

andere im mittelpunkt und genießen hohes gesellschaftliches

 

ansehen. dieses ansehen gebührte aber eigentlich uns. einer

wird hofiert, alle türen öffnen sich und er erlebt die sexualität

(houellebecq). bei einer armen witwe reicht es nicht einmal

für ein wochenende in schwäbisch gmünd. hier konstatieren

wir ein gewisses gefälle. aber: was hilft die schönste hütte

 

in der steiermark, wenn die ehe kaputt ist und der sohn sich in

richtung drogenszene bewegt? was bringt das neueste mac-

book pro, wenn dir kein reim einfällt und du den rhythmus nicht

halten kannst? und was die teure speedo-badehose, wenn sie

schon wieder das stadtbad renovieren? nichts! absolut nichts!