DAS NEUNTE UND DAS ZEHNTE GEBOT

DU SOLLST NICHT BEGEHREN DEINES NÄCHSTEN HAUS.

DU SOLLST NICHT BEGEHREN DEINES NÄCHSTEN WEIB, KNECHT, MAGD, VIEH NOCH ALLES, WAS SEIN IST.

ASSOZIATIONSRAUM IX - X
10. Mai - 28. Oktober 2017

Was ist eigentlich Begehren? »Begierde oder Begehren bezeichnet den seelischen Antrieb zur Behebung eines subjektiven Mangelerlebens mit einem damit verbundenen Aneignungswunsch eines Gegenstandes oder Zustandes, welcher geeignet erscheint, diesen Mangel zu beheben.« Für die Psychoanalyse von Freud bis Lacan, für Sozial- und Geschichtswissenschaft, für die Kunst und vor allem für die Wirtschaft ist Begehren eine zentrale Kategorie. Ohne Begierde kein Konsum, ohne Begehren keine Kriege, Mauern, Grenzen, eigentlich nichts, was das sogenannte reale Leben ausmacht.

In der alttestamentarischen Quelle des Begehrens-Gebotes und seiner Herleitung ging es aber um einen engeren, der damaligen Lebensrealität geschuldeten Begriff, den der Theologe Michael Sievernich so beschreibt: »Bei der Auslegung des Verbots, das ›Haus‹ des Nächsten zu begehren, wird man also, den verschiedenen biblischen Versionen des Dekalogs entsprechend, darauf achten müssen, ob man vom ›Haus‹ im umfassenden Sinn des gesamten Hab und Guts nach altorientalischer Vorstellung spricht, oder in einem eingeschränkten Sinn, der die soziale Stellung der Frau berücksichtigt, oder in einem übertragenen Sinn, demzufolge das zu  schützende und zu bewahrende ›Haus des Nächsten‹ die materiellen und geistigen Lebensbedingungen meint, die nicht angetastet, nicht ›begehrt‹ werden dürfen. Auf jeden Fall jedoch ist das Verbot mit der Präambel des Dekalogs in Verbindung zu bringen, die lautet: ›Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.‹ (Ex 20,2; Dt 5,6) Denn solche Lebens- und Arbeitsbedingungen, die das Volk Israel in der Fron Ägyptens erfahren hat, nämlich Ausbeutung, Enteignung und Beraubung der Lebensgrundlagen und der Freiheit (Ex 1,14), soll es künftig nicht mehr geben. Vielmehr soll das Volk durch Einhalten der als Freiheitsregeln verstandenen Gebote den von Gott eröffneten und geschenkten Freiheitsraum schützen und in Gemeinschaft miteinander und mit Gott ohne Versklavung und im Genuss der Güter leben. In diesem Sinn ist auch das 9. Gebot eine Freiheitsregel, welche im Interesse der eigenen Freiheit den Lebensraum des anderen vor dem ungeordneten Begehren anderer schützt.« Einführungsrede von Matthias Flügge weiterlesen...

Ausstellungsansichten – Bild 1: Fritz Cremer, Der Verkündigungsengel des amerikanischen Jahrhunderts, 1949/50; Bild 2: Else Hertzer, Die Zehn Gebote, 1968; Bild 3: Arwed Messmer, Pamorama #394, Aus: Inventarisierung der Macht. Die Berliner Mauer aus anderer Sicht, Berlin 2016; Bild 4: Andreas Rost, Spaziergang in Ramallah, 2017