Das Dritte Gebot

DU SOLLST DEN FEIERTAG HEILIGEN.

Wir sollen, so Martin Luthers Ausdeutung dieses oft buchstäblich interpretierten Sonn- und Feiertaggebotes, das »Wort Gottes heilig halten, gerne hören und lernen«. Was aber heißt das in einer Gesellschaft, der wenig heilig ist, in welcher Gottes Wort im Lärm des weltlichen Getriebes leicht überhört wird und die sich in ihrer Selbstbezogenheit kaum noch, von wem auch immer, etwas sagen lässt? Anders gefragt: Wie können und sollen wir mit dem umgehen, was in unseren individuellen und ganz aufs Persönliche abgestellten Masterplänen und auch in unserer gewöhnlichen Lebensführung keinen Platz hat?


15. Mai 2014 um 19 Uhr

»Immer wieder sonntags«

Es lasen: Dr. Norbert Hummelt | Angela Krauß

Moderation: Dr. Ludger Hagedorn


Auszug aus In Saaletal von Angela Krauß

Ich gedenke der Sonntage im Saaletal, die Zeit spiegelt sich in den weiten Flutauen und versinkt. Die Menschen vergessen sie im gleichen Augenblick. Hat es sie einst gegeben? Die Vergangenheit läßt sich auffächern wie Tarotkarten, eine jede fächert sich in diese oder jene Tiefe. So geht es zu an Sonntagen: sie erzeugen die Aufhebung der Zeit. Die Begebenheiten, merkwürdig oder nicht, fliegen durch den blauen Himmel wie Sternschnuppen am hellichten Tag. Der Verleger R. kaufte kürzlich einen kleinen Hirsch in einem Antiquitätengeschäft in Naumburg, für eins seiner Häuser, ein frischgeerbtes in den Bergen. Allerdings fehlte dem Hirsch das Geweih, was noch im Laden bemängelt wurde. Er wurde aber nicht verbilligt. Das fiel mir jüngst an einem Sonntag ein; ich war bereits erwacht ohne eine Vorstellung von Zeit, diese Gnade wird einem manchmal in den ersten Sekunden des Tages zuteil. Viel zu kurz, als daß man sie schätzen könnte.

In Naumburg, erzählte mir einmal ein Schriftsteller im Zug, als wir an Naumburg vorüber fuhren, habe er 1992 beobachtet, wie ein mit Briketts beladener Hänger in eine Kurve fuhr und dabei einige Briketts rückwärts herunterfielen, woraufhin ein Mann, der das gesehen hatte, die Briketts von der Straße sammelte und forttrug. Ich verstand nicht, was der Schriftsteller mir damit sagen wollte. Stellen Sie sich das vor ! sagte er schließlich und sah mir ins Gesicht. Ja? sagte ich. Wie nach dem Krieg ! sagte der Schriftsteller. Ich konnte nichts erwidern. Manchmal kann man gar nicht so schnell in Deckung gehen, wie die Geschosse kommen. Die Splitter wachsen ins Fleisch ein und bewegen sich noch nach Jahrzehnten bei Wetterwechsel. Der Schriftsteller ist schon tot; er hat sein Sittenbild der DDR mit ins Grab genommen. Ohne zu erfahren, daß es sich mir schmerzhaft eingeprägt hat. Ich habe ihm verziehen, mal als Menschen, mal als Schriftsteller. Das wechselt. ?Sonntags in Naumburg denke ich jedesmal an ihn, es ist meine Wandergegend, eine herrliche alte Landschaft, die sich windende Saale, weite Überflutungsflächen, alte Apfelbäume von bizarrem Wuchs. Dieser Schriftsteller ist darin eine ganz fremde Figur, wie aus Pappe ausgeschnitten. Den Verleger, der kürzlich aus dem Naumburger Antiquitätenladen mit dem Hirsch ohne Geweih herausging, fragte ich nach dem Schriftsteller - Naumburg war das Stichwort - und es erwies sich, daß er ihn gut gekannt hat und sein frischgeerbtes Haus in den Dolomiten nun das Nachbarshaus von jenem sei, nur daß jener nicht mehr am Leben ist.


Auszug aus Immer wieder sonntags von Norbert Hummelt

Die Sonntage meiner Kindheit leuchteten schon zum Frühstück in den Kirchenfarben gelb und weiß. Weiß war das süße Brot, das in meiner rheinischen Heimat auch Pottweck genannt wurde, hellgelb die Butter, mit der es, wohl in Erinnerung an die glücklich überwundenen Entbehrungen der Nachkriegszeit, besonders dick bestrichen wurde; weiß war die Schale des Frühstückseis und sonnengelb der Dotter, der vom Schmiermesser meines Vaters tropfte. Ich erinnere mich bis heute mit einem gewissen Schauder an die ruckhafte Gewalt, mit der mein Vater, eigentlich ein empfindsamer und in sich gekehrter Mann, sein Frühstücksei zu köpfen pflegte. Er schwang das Messer wie ein Beil, mit dem das zum Opfer bestimmte Hühnerei gemetzelt wurde. Ich ehrte meinen Vater, wie es das vierte Gebot verlangt, aber dies konnte ich ihm nicht gleichtun, schon weil ich den Dotter nicht am Messer haben wollte, mit dem ich ja auch noch die Butter und den als Grafschafter Goldsaft bekannten Zuckerrübensirup auf meiner Scheibe Weißbrot zu verstreichen gedachte. Gedenke, daß du dein Messer blank hältst, dieses Gebot gab ich mir unausgesprochen selbst.

Zur Vorbereitung des Sabbat-Tages gehört in traditionellen jüdischen Familien das Backen der strahlend weißen Sabbat-Brote, der Challoth, von denen ich in meiner Kindheit niemals etwas hörte. So wenig, wie in meinem Elternhaus über den Holocaust gesprochen wurde, der auch in der Schule noch nicht dran war (wir kamen in Geschichte nur bis zum Röhm-Putsch, dann war Abitur), so wenig erfuhr ich über die jüdischen Ursprünge der Feiertagsbräuche, mit denen ich aufwuchs. Ich lese über diese Bräuche nun in dem Kompendium »Jüdische Riten und Symbole« des holländischen Rabbi De Vries, der im Frühjahr 1944 im KZ Bergen-Belsen ermordet wurde, demselben Frühjahr, da mein Vater in Sewastopol von einem Granatsplitter im rechten Oberschenkel getroffen wurde, was dazu führte, daß man ihn von der Krim nach Prag ins Lazarett flog, was wiederum die Voraussetzung dafür war, daß ich überhaupt je ein Frühstücksei zu Gesicht bekam und überdies heute hier zu Ihnen sprechen kann. »Wenn ihr in das Land kommt, in das ich euch bringen werde, und ihr eßt von dem Brot des Landes«, so zitiert der Rabbi De Vries die Thora, »so sollt ihr dem Herrn eine Opfergabe darbringen: Als Erstling eures Teigs sollt ihr einen Kuchen als Opfergabe darbringen. Wie die Opfergabe von der Tenne, so sollt ihr auch dem Herrn den Erstling eures Teigs geben für alle Zeit.« Es waren zwar nicht die Erstlinge des Brotteigs, aber doch eine beträchtliche Anzahl von Krümeln meines Weißbrots, die ich, keineswegs um zu opfern, sondern aus Unachtsamkeit unter den Tisch fallen ließ. Man könne am Fußboden immer genau erkennen, wo ich gesessen hätte, meinte meine Mutter, als ob ich nicht ohnehin von jeher an einem festen Platz gesessen hätte, und sie fügte mit Blick auf die Krümel hinzu, nun könne man die Hühner kommen lassen. Dies geschah jedoch nie, wir hatten keine Hühner, vielmehr holte mein Vater jeden Sonntag den Staubsauger hervor. Man mag dies zu den nützlichen Arbeiten rechnen, die man am ja Sonntag eigentlich unterlassen sollte, aber da mein Vater ansonsten alle Hausarbeiten meiner Mutter überließ, war auch dieses sonntägliche Staubsaugen in gewisser Weise ein Ritual.